Forschungsteams des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim und der Goethe-Universität Frankfurt haben in der bundesweiten Studie "JuCo" dieser Tage die ersten Ergebnisse ihrer Studie zu Erfahrungen junger Menschen während der Corona-Maßnahmen veröffentlicht.* 6000 junge Menschen ab 15 Jahren haben an der Online-Befragung teilgenommen, der Altersdurchschnitt liegt bei knapp 19 Jahren. Darin geht u.a. hervor, dass jungen Menschen den Eindruck haben, in Politik und Gesellschaft würden sie nur als Schüler*innen und Student*innen gesehen. „Die Bandbreite jugendlicher Lebenswelten, die Vielfalt ihrer Interessen und Bedürfnisse, werden aktuell auf das Homeschooling reduziert.“ (S.4). Die Frage, ob sie den Eindruck haben, dass ihre Sorgen gehört werden, verneinen 23,6 %, weitere 22 % stimmen „eher nicht“ zu. (S.11)
Anscheinend wollten wir Erwachsenen in der Krise die Normalität von Schule – respektive Wissensvermittlung - „retten“ und haben dabei die Lebenswelten von Jugendlichen außer Acht gelassen. Wohl auch vor der Corona Pandemie haben wir Erwachsene die jungen Menschen bestimmt eher nach Schule, Abschlüssen und Berufswahl gefragt, als nach ihren Wünschen und Bedürfnissen und was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Es wäre schön, das Ergebnis der Studie würde uns Erwachsene wachrütteln und unseren Blick erweitern. Vielleicht könnten wir sehen, dass junge Menschen aktuell „ganz nebenbei“ enorm viel lernen: sie lernen Verantwortung zu übernehmen; selbst ihren Alltag für Schule und Hochschule zu strukturieren, sich selbst Aufgaben zu setzen - und nicht nur von Außen diktiert zu sein (auch im Erwachsenenalter keine leichte Aufgabe); Langeweile kreativ zu nutzen, eine Krise durchzustehen, Vielleicht entdecken sie in sich ungeahnte Fertigkeiten oder lernen neu über die Natur zu staunen. Alles Qualitäten, die in einer nachhaltig gestalteten Gesellschaft unabdingbar sind.
Welch eine Chance für die Welt, wenn wir die Krise nicht als eine Episode sehen, die wir hoffentlich bald hinter uns haben, sondern wenn all das, was wir aktuell lernen und aus einem neuen wacheren Blickwinkel sehen dürfen, ein Lernen für ein stimmigeres Leben nach der Krise wäre. Wenn Erziehende, Lehrer*innen und Hochschullehrer*innen nicht mehr nur Wissen vermitteln (das können sich die Jugendlichen mittlerweile ohnehin selbst aus dem Netz ziehen), sondern wirkliche Lern- und Lebensbegleiter*innen wären, die die jungen Menschen lehren ihr Wissen einzuordnen und zu vernetzen, sie spiegeln und reflektieren und sie unterstützen ihre Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken.
Was könnte uns besseres passieren, als eine bewusste junge Generation? Schade, wenn wir diese Chance verstreichen lassen – nur um der allzu gewohnten „Normalität“ des Höher-Schneller-Weiter gleich wieder zu genügen.
Quelle:
*Andresen, Sabine; Lips, Anna; Möller, Renate; Rusack, Tanja; Schröer, Wolfgang; Thomas, Severine; Wilmes, Johanna: Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Stiftung Universität Hildesheim 2020. https://hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1078
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