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Schickse, Schnorrer und Schlamassel - Jiddisches in der deutschen Sprache

Anlässlich des Jubiläums "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" veröffentlichen wir noch einmal den Beitrag zur Aktion "Kursgruß" von Ursula und Werner Wolf, Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für C

An einem heißen, aber windigen Sommertag sitzen wir zu dritt in einem gemütlichen Café im Schatten des Wiener Stephansdoms. Plötzlich zieht einer von uns den Kopf ein und schüttelt sich: „Lasst uns woanders hingehen – hier zieht’s ja wie Hechtsuppe.“ Gesagt, getan. Doch dann kommt die Frage auf: „Hechtsuppe! Wieso eigentlich Hechtsuppe? Die gibt’s doch gar nicht.“ Es wird ge-googelt, und sofort ist klar: Der Ursprung dieses seltsamen Ausdrucks liegt in einer falsch verstandenen jiddischen Redewendung. Ursprünglich war mit diesem Ausspruch nicht eine Fischsuppe gemeint, sondern „hech soppa“ oder „hech supha“, und das heißt übersetzt „Sturm“ oder „Sturm-wind“. (*) Und dann macht der Satz ja Sinn! Wie in diesem Fall verwenden wir sehr häufig in unserer deutschen Sprache Relikte aus dem Jiddischen, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Jiddisch ist eine rund tausend Jahre alte Sprache, die von den aschkenasischen Juden in weiten Teilen Europas gesprochen und geschrieben wurde. Es ist eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische Sprache (nach dem Deutschen und dem Englischen die drittgrößte), die mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und anderen Sprachelementen angereichert worden ist. Von den SchUM-Städten am Rhein Worms, Speyer und Mainz verbreitete sie sich über das ganze östliche Europa und nach den Pogromen und Hungersnöten im russischen Zarenreich auch nach Westen, vor allem nach Amerika. Um 1900 war Jiddisch eine Weltsprache und fand Eingang in Literatur, Theater, Film und Musik. Mit der Ermordung von Millionen jiddisch sprechender Menschen im Holocaust begann der Niedergang dieser Sprache. Heute wird Jiddisch vielleicht noch von einer Million Menschen gesprochen; sie leben überwiegend in orthodoxen jüdischen Vierteln in New York, in Israel, in Antwerpen und in London.
Geschrieben wird Jiddisch übrigens mit hebräischen Buchstaben – mit kuriosen Folgen: ein Deut-scher kann die Sprache zur Not verstehen, aber nicht lesen, und ein Israeli kann sie lesen, aber nicht verstehen.

Mehr als wir ahnen, hat das Jiddische die deutsche Sprache geprägt, und ohne es zu wissen, verwenden wir sehr häufig Lehnwörter und Redewendungen aus diesem mittelalterlichen jüdischen Deutsch: Hätten Sie gewusst, dass die folgenden Wörter gar nicht deutschen Ursprungs sind?
abzocken – ausbaldowern – betucht – Chuzpe – dufte (kommt übrigens von hebr. „tov“ = gut) – Ganove – Gauner – Gemauschel – großkotzig – herummosern – kess – Knast – nicht ganz koscher – Macke – Maloche – meschugge – Mischpoche – mies – miesmachen – Miesepeter – vermiesen – Moos (= Geld) – Penne – Penner – Schlamassel – vermasseln – schicker sein (= betrunken sein) – Schmiere stehen – Schmu – Stuss – Tacheles reden – Zoff usw.
Wie kann man sich das erklären? Häufig kam es im Mittelalter zu Kontakten zwischen der christlichen und der jüdischen Bevölkerung; dabei hörte man den jiddisch/hebräischen Unterhaltungen zu, ohne das Gesagte zu verstehen. Man machte sich einen Reim darauf, indem man deutsche Wörter einsetzte, die so ähnlich klangen.

Das Ergebnis sind merkwürdige und unverständliche Redewendungen wie z.B.:
„Einen guten Rutsch!“ Dieser unser Neujahrsgruß hat nichts mit winterlichen Straßenverhältnissen zu tun, mit Eis, auf dem wir ausrutschen könnten, sondern kommt vom hebr. „rosh“ = „Kopf“, und aus „rosh“ ist „Rutsch“ geworden; Rosh HaShana ist der „Kopf, der Anfang des Jahres“ – und dann macht der fromme Wunsch ja Sinn: Einen guten Jahresanfang! (*)
„Zeigen, wo der Barthel den Most holt“ – da geht kein durstiger Bartholomäus in den Kel-ler, um Most zu holen; in Wirklichkeit geht ein Dieb mit einem Brecheisen (jidd. „Barsel“ = Brecheisen) auf Tour, um Geld zu stehlen: jidd. „Moos“ = Geld.
Sicher haben Sie sich schon „Hals- und Beinbruch“ gewünscht. Wie brutal! Sie wünschen „Bruch“ und meinen „Segen“, denn nichts andres steckt in dieser Verballhornung des hebräischen Wunsches „haslecha we bracha“ = „Glück und Segen“. Aus „haslecha“ wird „Hals“ und aus „beracha“ „Bruch“. Möge aus „Bruch“ auch wieder „Segen“ werden.
Ein „typisch deutsches“ manchmal herzförmiges Backwerk ist Lebkuchen. Es verdankt seinen Namen dem hebr. „lev“ = „Herz“. Und „Levkuchen“ wird lautmalerisch zu „Lebkuchen“ umgewandelt.
Über einem bankrotten Bankhaus kreist der Pleitegeier – oder doch nicht? „Pleite“ kommt von jidd. „pleto (= Flucht) und „Gejer“ heißt eigentlich nur „Geher“. Hinter dem Pleitegeier steht also die Erfahrung, dass ein Bankrotteur sich seinen Gläubigern gern durch die Flucht entzieht.

Was ist vom Jiddischen geblieben? Stella Schindler-Siegreich, von 2004 -2017 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz/ Worms, antwortet auf diese Frage in einer Mischung aus Trauer und Hoffnung: „...einige klingende Ausdrücke (siehe oben), die Klezmer Musik, Jiddisch-Festivals, die Erinnerung an die jiddisch-deutsche Kultur und Geschichte und manchmal vielleicht auch die Hoffnung auf ein Wunder der Belebung, des Revival. Auf die Frage, warum er in Jiddisch, einer sterbenden Sprache, schreibe, antwortete der Literatur-Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer(1901-1991): „Bei Juden ist Auferstehung kein Wunder, sondern Gewohnheit“.

Erste Anzeichen dieses Wunders findet man heute ausgerechnet im Streaming-Dienst von Netflix. Offenbar sind Reiz und Klang des Jiddischen auch für jüngere Zuschauer so attraktiv geworden, dass in der zur Zeit mit großem Erfolg laufenden Serie „UnOrthodox“ die jiddischen Sprachanteile nicht mehr synchronisiert wurden, sondern original zu hören sind und nur noch durch Untertitel verständlich gemacht werden.

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(*) Wie bei etymologischen Fragen üblich gibt es auch andere Forschungsansätze, denen hier nicht weiter nachgegangen werden soll.

(Foto: Daniel Case, Lizenz CC BY-SA 3.0)

Bildbeschreibung (englisch): Yiddish text on upper sign says: "Kiryas Joel Bus Transportation, Bus Stop." Yiddish text on lower sign says: "Village Bus Stop."

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